Die Somme-Kaserne Augsburg
Zentrum der ukrainischen Emigration nach 1945
„Gesegnetes Augsburg“ – so erinnerte sich die ukrainische Ärztin und Schriftstellerin Sofija Parfanowytsch (1898-1968) an die Stadt, in der sie nach dem Zweiten Weltkrieg Zuflucht fand. Viele Ukrainer*innen in Augsburg in der Nachkriegszeit waren ehemalige sogenannten Ostarbeiter oder sowjetische Kriegsgefangene. Nicht alle wollten in die Sowjetunion zurückkehren. Auch Beteiligte am ukrainischen Befreiungskampf sowie frühere Exilierte aus Polen und der Tschechoslowakei suchten in Augsburg Schutz vor dem sowjetischen Regime. Die Emigration in der späteren 40er brachte zahlreiche Fachkräfte, Wissenschaft- und Kunstschaffende hervor – eine Reaktion auf die Verfolgung der intellektuellen Elite durch das stalinistische System. Es war nicht nur eine politische, sondern auch eine „intellektuelle Flucht“.

Postkarte: Somme-Kaserne, ca. 1941; Kunstverlag M. Seidlein, München, Stadtarchiv Augsburg

Ukrainische „Displaced Persons“ bei einem Fest in Tracht, hinten Bldg 25 (heute abgerissen). Quelle: Amerika in Augsburg e.V.
1947 lebten in Augsburg 10,5 Tausend Menschen aus der Ukraine, in München 17,5 Tausend und in Regensburg 14,3 Tausend. Das größte Zentrum in Bayern war die Somme-Kaserne, ein Lager für die Unterbringung der sogenannten “Displaced Persons”. Dort gab es gewählte Selbstverwaltungen, strenge Ordnung und Sauberkeit. Viele Familien mit Kindern lebten in den Einrichtungen. Lehrkräfte in der Lagergemeinschaft bauten Schulen auf, in der Somme-Kaserne sogar ein Gymnasium. Auch Erwachsene erhielten Ausbildungsmöglichkeiten: Kurse in Schneiderei, Elektrotechnik, Viehzucht oder Hauswirtschaft. Seit 1946 gab es dort sogar universitäre Lehrangebote. Im November 1945 entstand die Ukrainische Freie Akademie der Wissenschaften (UFAN), die bald ein wichtiges Zentrum wissenschaftlicher Arbeit wurde. Später verlegten viele Mitglieder ihre Tätigkeit in die USA und nach Kanada.
Das kulturelle Leben blühte: Der Regisseur Wolodymyr Blavatsky (1900-1953) gründete eine Theatergruppe, es gab Zeitungen, Literaturabende, Konzerte und Sportvereine wie „Tschornohora“ (“Schwarzberg”), die an Wettkämpfen und einer „Emigranten-Olympiade“ teilnahmen.
Die ukrainische Nachkriegsemigration in Deutschland war in ihrer Zusammensetzung und ihren Aktivitäten einzigartig. Viele Menschen im Exil blieben nur vorübergehend: Unter dem Druck möglicher Repatriierung wanderten zahlreiche aus der Ukraine Geflüchtete weiter in die USA, nach Kanada und andere Länder.
Ukrainische Spuren in Augsburg
- Das Familienporträt Fidelis Butsch im Maximilianmuseum – Eine Geschichte der Familienreise in die Ukraine
- Das Silber im Maximilianmuseum – Augsburger Meisterwerke und ihr Weg in die Ukraine
- Die Halle 116 – Ein Ort der Verantwortung und des Erinnerns
- Somme-Kaserne Augsburg – Zentrum der ukrainischen Emigration nach 1945
- Das Augsburger Staatstheater – Architektonische Verbindung mit Odesa
- Das Weberhaus – Brücke zur frühen Geschichte der Ukraine
- Der Westfriedhof – Das Grab des ukrainischen Dichters Juri Klen
Ansprechperson
Maria Issinskaya
Russischsprachige, ukrainische Inhalte
Das Projekt „Meine Stadt – meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa
