Das Silber im Maximilianmuseum
Augsburger Meisterwerke und ihr Weg in die Ukraine
Seit dem 17. Jahrhundert gilt Augsburg als bedeutendes Zentrum der Silberverarbeitung in Europa. Kaum ein Fürsten- oder Königshof in Europa kam ohne prachtvolle Werke aus der Stadt aus: Von Madrid bis St. Petersburg, von Stockholm bis Florenz – Augsburger Gold- und Silberschmiedearbeiten schmückten die Paläste des Adels.
Weniger bekannt ist, dass neben den Metropolen wie Paris, London und Kopenhagen, auch das ukrainische Charkiw zu den Orten gehörte, an die diese kunstvollen Handarbeiten geliefert wurden. Dabei handelte es sich nicht nur um einzelne Schmuckstücke oder diplomatische Geschenke, sondern um ein vollständiges höfisches Speiseservice.
Im Jahr 1776 beauftragte Kaiserin Katharina II. von Russland eine außergewöhnlich umfangreiche Anfertigung von Tafelsilber, die an die neu gegliederten Gouvernements des Reiches geliefert werden sollte. Augsburg erhielt den Auftrag für vier uns bekannten dieser prestigeträchtigen Silberservices – Perm, Riga, Olonec und auch Charkiw. Diese Auftragserteilung zeigt, wie sehr die Kunstfertigkeit und das Renommee der Augsburger Goldschmiede in ganz Europa, einschließlich der heutigen Ukraine, geschätzt wurden.
Die Vergabe mehrerer kaiserlicher Silberservices an Augsburg zeigte nicht nur das hohe Ansehen der Augsburger Arbeit, sondern auch die erfolgreiche Zusammenarbeit von erfahrenen Silberhändlern und spezialisierten Werkstätten. Diese enge Kooperation war damals ungewöhnlich modern und machte es möglich, selbst sehr große Aufträge zu erfüllen.
Die Services für Charkiw und die anderen Gouvernements bestanden aus ca. 1000 von Einzelteilen, die in spezialisierten Werkstätten gefertigt wurden. Das Service für Charkiw beispielsweise wog über 500 Kilogramm und enthielt neben Tellern und Besteck auch Leuchter, Gewürzgefäße und spezielle Tischobjekte für die höfische Tafel. Vier silberne Tischleuchter aus diesem Service stammen vom Augsburger Meister Johann Philipp Heckenauer (tätig 1741-1793), der den französischen Frühklassizismus mit einer eigenen, eleganten Note interpretierte.

Vier Tischleuchter aus dem Service für das Gouvernement Charkiw; Johann Philipp Heckenauer, Augsburg, 1781-1783, Kunstsammlungen und Museen Augsburg
Im Maximilianmuseum kann man neben den vier Leuchtern des Charkiwer Services auch eine (von acht) Gemüseschüssel mit Warmhalteglocke und Wärmeglocke mit Unterteller aus demselben Service bewundern. Beide Objekte stammen von dem Goldschmiedemeister Christian II. Drentwett (Lebensdaten unbekannt). Auch wenn das vollständige Charkiwer Service heute nicht mehr erhalten ist, ermöglichen diese Objekte den Besucher*innen, die kulturelle Verbindung zwischen Augsburg und der Ukraine nachzuvollziehen und die Geschichte der Silberkunst als Ausdruck internationaler Beziehungen zu erleben.
Der Nachfolger Katharinas II., ihr Sohn Paul I., ließ sämtliche Gouvernementsservices nach St. Petersburg überführen und dort inventarisieren. Wie es im 19. und 20. Jahrhundert mit diesen kostbaren Objekten weiterging, ist nicht bekannt. Ein Teil wurde vermutlich eingeschmolzen, andere Stücke gelangten nach Moskau – in die Rüstkammer des Kremls oder ins Staatliche Historische Museum. Viele Objekte wurden im Ausland versteigert.
So lassen sich durch die erhaltenen Silberobjekte nicht nur Spuren der europäischen Silbermode entdecken, sondern auch ein Stück ukrainischer Geschichte, das in Augsburg bis heute lebendig ist.
Ukrainische Spuren in Augsburg
- Das Familienporträt Fidelis Butsch im Maximilianmuseum – Eine Geschichte der Familienreise in die Ukraine
- Das Silber im Maximilianmuseum – Augsburger Meisterwerke und ihr Weg in die Ukraine
- Die Halle 116 – Ein Ort der Verantwortung und des Erinnerns
- Somme-Kaserne Augsburg – Zentrum der ukrainischen Emigration nach 1945
- Das Augsburger Staatstheater – Architektonische Verbindung mit Odesa
- Das Weberhaus – Brücke zur frühen Geschichte der Ukraine
- Der Westfriedhof – Das Grab des ukrainischen Dichters Juri Klen
Ansprechperson
Maria Issinskaya
Russischsprachige, ukrainische Inhalte
Das Projekt „Meine Stadt – meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa
