Das Textilviertel Augsburg
Sie suchten nach Arbeit und fanden eine neue Heimat

Augsburger Kammgarnspinnerei – neues Kesselhaus – aufgenommen von der Ambergerwiese, 1999; Quelle: Wikiped
Im Osten Augsburgs liegt das Textilviertel – ein Stadtteil, der das industrielle Gedächtnis der Stadt bewahrt. Seit dem 19. Jahrhundert wurde das rund 180 Hektar große Areal zum Zentrum der Textilproduktion. Hier entstanden Fabriken wie die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (1836–2004) und die Neue Augsburger Kattunfabrik (1895–1996), die über Jahrzehnte den wirtschaftlichen Pulsschlag Augsburgs bestimmten.
Ab den 1960er Jahren kamen zahlreiche Arbeitskräfte aus der Türkei nach Augsburg, um in diesen Fabriken zu arbeiten. Sie wurden als sogenannte „Gastarbeiter*innen“ angeworben – und waren bald ein unverzichtbarer Teil der Produktion. Doch sie brachten mehr als nur ihre Arbeitskraft: Sie veränderten das soziale und kulturelle Gefüge des Viertels und hinterließen Spuren, die bis heute sichtbar sind.
Der Alltag bestand nicht nur aus Arbeit. Auch das Gebet fand hier seinen Platz: Anfangs beteten Arbeiter in den Waschräumen der Fabrik, später wurde das ehemalige Waschhaus der AKS 1980 in die Kammgarn-Selimiye-Moschee umgewandelt. Sie steht sinnbildlich für das Ankommen und Bleiben in einer neuen Heimat.
Das Proviantbachquartier, in den 1890er-Jahren zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen gebaut, bot ab den 1960er-Jahren vielen türkeistämmigen Familien ein Zuhause. Mit seinen Gärten, Waschküchen und kleinen Läden wurde es zu einem lebendigen Stadtteil.
Für viele türkeistämmige Augsburger*innen ist das Textilviertel deshalb weit mehr als nur ein Stadtteil. Es ist ein Ort der Erinnerung – eng verbunden mit der Familien- und Migrationsgeschichte ihrer Eltern und Großeltern, die einst mit Hoffnung im Gepäck und dem Mut, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen, nach Augsburg kamen. Noch heute erzählen viele von ihnen mit leuchtenden Augen von den ersten Arbeitstagen in den Fabriken, vom Zusammenhalt unter Kolleg*innen und vom gemeinsamen Aufbau eines neuen Lebens in Augsburg.
Ausstellungen, Publikationen und filmische Dokumentationen, die mit großem Engagement entstanden sind, bewahren diese Erinnerungen aufmerksam auf und machen sie für kommende Generationen sichtbar: Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) erzählt nicht nur die Geschichte der Textilproduktion – sondern auch die Geschichten der Menschen, die sie möglich gemacht haben. In der Ausstellungseinheit „Mensch“ wird sichtbar, wie sehr die Migration aus der Türkei die Entwicklung Augsburgs geprägt hat. Mehr über diese Geschichten erzählen Publikationen wie „Zurückgespult. Arbeit und Alltag von Augsburger*innen aus der Türkei“ (2021), die gleichnamige Dokumentation oder die „Lebensläufe von türkischen Gastarbeitern in Augsburg“ (2012), in denen weitere Stimmen und Erinnerungen festgehalten sind.
Heute zeugen Museen, Ateliers, Grünflächen und Wohnprojekte von der Transformation des Viertels – und davon, dass die Verflechtung von Industrie- und Migrationsgeschichte ein lebendiges Erbe bleibt.
Türkeistämmige Spuren in Augsburg
- Augustusbrunnen: Römisches Erbe in Augsburg und der Türkei
- Weberhaus: Augsburgs Textilerbe und Spuren aus der Türkei
- Kresslesmühle: Ein historisches Gebäude im Herzen Augsburgs – ein Symbol für Zusammenhalt
- Höhmannhaus: Von der versklavten Osmanin zur Gräfin – eine ungewöhnliche Liebesgeschichte in Augsburg
- Brechthaus: Zwei weltweit bekannte Dichter treffen aufeinander – Spuren in Augsburg und der Türkei
- Mozarthaus: Mozart aus Augsburg und die Klänge des Orients
- Textilviertel: Sie suchten nach Arbeit und fanden eine neue Heimat
- Augsburger Dom: Zwischen Krieg und Kulturerbe: Warum eine osmanische Fahne im Dom hängt
Das Projekt „Meine Stadt – Meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa



