Brechthaus Augsburg, 1989; Quelle: Bärwinkel, Klaus

Das Brechthaus

Brecht und Hikmet: Zwei weltweit bekannte Dichter treffen aufeinander – Spuren in Augsburg und der Türkei

Wussten Sie, dass der weltberühmte Schriftsteller Bertolt Brecht (1898–1956) aus Augsburg und der ebenso bekannte türkische Dichter Nazım Hikmet Ran (1902–1963) zur gleichen Zeit lebten, ähnliche Ideale teilten, deshalb aus ihren Ländern verbannt wurden und sich eines Tages in Berlin begegneten?

Bertolt Brecht; Bundesarchiv, Foto: Kolbe, Jörg

Bertolt Brecht; Bundesarchiv, Foto: Kolbe, Jörg

Beide sahen in der Kunst ein Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung und zum Frieden, und dieses gemeinsame Verständnis machte schließlich eine seltene Begegnung in Berlin möglich.

Brecht interessierte sich bereits früh für die Gedichte von Nazım Hikmet. Nach einem Treffen mit türkischen Schriftstellern in Ost-Berlin im Jahr 1951 schrieb er:

„Ich habe seine Gedichte mit großer Begeisterung gelesen.“

Nâzım Hikmet, Berlin 1956; Foto: Hans-Joachim Koch

Nâzım Hikmet, Berlin 1956; Foto: Hans-Joachim Koch

Brechts Mitarbeiterin Käthe Rülicke-Weiler berichtete in einem Artikel über die erste Begegnung zwischen Hikmet und Brecht:

Im Mai 1954 besuchte Nazım Hikmet Brecht in seiner Wohnung in der Chausseestraße. Hikmet war bereits mehrfach Gast in der DDR gewesen, diesmal kam er anlässlich des Weltfriedenskongresses.

„Als Nazım Hikmet zu Brecht kam, war ich ebenfalls dort. Es war ein sehr angenehmer Besuch mit einem sehr angenehmen Menschen. Hikmet kam mit Blumen in der Hand: ‚Für die Hausfrau‘, sagte er. Ich antwortete: ‚Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.‘ Hikmet lachte: ‚Ich dachte, Sie seien die Hausfrau.‘ Und ich erwiderte lachend: ‚Nein, ich bin nur eine Mitarbeiterin.‘

Nazım Hikmet setzte sich an den Tisch am Fenster und sagte, dass er froh sei, bei uns zu sein. Brecht fragte ihn nach seiner Arbeit, seinen Zukunftsplänen und seiner Meinung zur politischen Lage in der Türkei. Hikmet sprach ausführlich und leidenschaftlich über die schwierige Situation seines Landes und erwähnte auch seinen neu erschienenen Gedichtband Die Stadt der Toten.

Wir saßen bis spät in die Nacht zusammen und sprachen über Literatur und Politik. Am Ende verabschiedete sich Nazım Hikmet herzlich von uns allen.“

Rülicke-Weiler schrieb:

„Hikmets Besuch bei Brecht war für mich unvergesslich – sowohl persönlich als auch für das Berliner Ensemble war es ein bedeutendes Ereignis.“

Zwei Jahre später trafen sich Brecht und Nazım Hikmet erneut – diesmal während des Schriftstellerkongresses, der vom 9. bis 14. Januar 1956 in Berlin stattfand. Bei diesen Gesprächen entstand die Idee, Hikmets Gedichte ins Deutsche zu übersetzen. Brecht übertrug eine englische Version von Hikmets 1933 im Gefängnis von Bursa verfasstem Gedicht Brief an meine Frau ins Deutsche. Das Gedicht beschreibt die schwierigen Tage im Gefängnis und die Sehnsucht nach seiner Frau. Brecht kürzte einige Passagen und gestaltete das Gedicht in einer poetischen Form neu.

In einem Brief vom 14. Februar 1956 unterstützte Brecht die Veröffentlichung eines Gedichtbandes von Nazım Hikmet unter der Schirmherrschaft der Akademie der Künste in Berlin. In diesem Band sollten vermutlich die ins Deutsche übersetzten Gedichte Hikmets erscheinen. Doch es blieb bei dem Vorhaben: Brechts kurz darauf einsetzende Krankheit verhinderte die Fertigstellung dieser Arbeit.

Foto: Bruno Tenschert

Foto: Bruno Tenschert

Diese geistige Nähe wurde viele Jahre später auch auf der Bühne thematisiert – im Rahmen des Brechtfestivals, dem größten Kulturfestival der Stadt Augsburg, das jedes Jahr im Februar stattfindet. Im Programm des Jahres 2025 wurde das Theaterstück „Brecht – Nazım: Direnişin Sesleri“ (Die Stimmen des Widerstands) aufgeführt. Das Stück, inszeniert von in Deutschland lebenden türkischstämmigen Schauspielerinnen und Schauspielern, wurde zweisprachig gespielt. Brecht und Nazım Hikmet wurden durch ihre Texte, die sich gegenseitig zu antworten schienen, miteinander in Dialog gebracht.

Die gedankliche Nähe zwischen Brecht und Nazım Hikmet fand in den folgenden Jahrzehnten auch in der türkischen Literatur und im Theater Widerhall. Brechts episches Theater beeinflusste indirekt eine ganze Generation türkischer Autoren. Spuren dieses Einflusses zeigen sich in den Werken von Necati Cumalı (1921–2001), die gesellschaftlichen Themen und menschliche Beziehungen aufgriff und das Publikum durch direkte Ansprache, Musik und Lieder zum Nachdenken anregte. Besonders in Stücken wie Susuz Yaz (1962, Durstiger Sommer) und Ay Büyürken Uyuyamam (1969, Ich kann nicht schlafen, wenn der Mond wächst) sind diese Einflüsse deutlich erkennbar.

Brechts Stücke wurden ab Ende der 1950er Jahre erstmals in der Türkei aufgeführt und fanden rasch große Beachtung. In den 1960er Jahren prägte sein Theaterstil nachhaltig die türkische Bühne. An den Staatstheatern wurden Werke wie Der kaukasische Kreidekreis, Mutter Courage und ihre Kinder und Die Dreigroschenoper vielfach inszeniert.

Eine weitere Verbindung zwischen Brecht und der Türkei findet sich in seinem Gedicht Keiner oder Alle, in dem es heißt: „Es gibt keine Rettung allein, entweder alle zusammen oder keiner von uns.“ Diese Worte, die Brechts revolutionären Geist und sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit ausdrücken, haben in der Türkei große Bedeutung erlangt und werden in jüngerer Zeit wieder als Parole in gesellschaftlichen Bewegungen aufgegriffen.

Auch das von Brecht verfasste Einheitsfrontlied wurde ins Türkische übersetzt und wird bis heute bei Arbeiterdemonstrationen als „Arbeiterhymne“ gesungen.

Das Brechthaus in Augsburg, Brechts Geburtshaus, dient seit 1985 als Gedenkstätte und Museum. Hier werden zahlreiche Dokumente und Objekte zu Leben und Werk des Autors gezeigt: seine ersten Drucke, ein Bühnenbild aus dem Jahr 1949, Lebens- und Totenmasken sowie das Schlafzimmer seiner Mutter Anna Brecht. Im Obergeschoss befindet sich eine Videoinstallation mit Dokumentarfilmen sowie ein Leseraum, in dem Besucherinnen und Besucher Brechts Werke studieren können.

Das Museum lädt nicht nur dazu ein, Brechts Welt aus nächster Nähe kennenzulernen, sondern erinnert zugleich an die universelle Wirkung seiner Ideen, die von Augsburg aus in die ganze Welt hinausstrahlten.


Das Projekt „Meine Stadt – Meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa

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