Das Schaezlerpalais
Kunst zwischen Augsburg und dem Zarenhof
Am Sonntagnachmittag, dem 28. April 1770, erschien der Wagen der kaiserlichen und königlichen Hoheit Maria Antonia bei St. Ulrich. Die zukünftige Gemahlin des Dauphins, des französischen Thronfolgers, besser als Marie Antoinette (1755-1793) bekannt, kam nach Augsburg. An diesem Tag fand der Ball zu Ehren der zukünftigen französischen Königin statt. Aus diesem Anlass wurde auch ein neues Gebäude in Augsburg, eingeweiht, das ungewöhnlich reich gestaltet war: Das heutige Schaezlerpalais. Es war im Auftrag des Silberhändlers Benedikt Adam Libert, Edler von Liebenhofen (1731-1810), gebaut worden.
Die Galerie, die zum Festsaal führt, schmücken die sogenannten Supraporte (Gemälde, die sich oberhalb der Türen befinden). Die Werke im ersten Obergeschoss zeigen (oft sehr erotische) Szenen aus den Metamorphosen von Ovid, während auf jenen im zweiten Obergeschoss Ereignisse aus der Augsburger Stadtgeschichte dargestellt sind. Alle Bilder wurden in der Grisaille-Technik gemalt, das heißt sie sind in einer einheitlichen Farbe gestaltet. Der Künstler, der sie sehr schnell anfertigen musste, war Josef Christ (1738-1788).

Franz Josef Degle, Selbstporträt, 1778© Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Foto: Andreas Brücklmair
Das Gesicht von Josef Christ ist auf einem Selbstporträt von Franz Josef Degle (1724-1812) zu entdecken, und zwar als Porträt hinter der Darstellung des Malers.
1778, als das Bild gemalt wurde, arbeitete Christ in Russland. Wir wissen nicht viel über seine Aufenthalte in St. Petersburg. Aus verschiedenen Quellen gehen zwei Reisen hervor, die er wahrscheinlich aufgrund der finanziellen Lage in Augsburg unternahm: Es gab einfach nicht genug Arbeit für Kunstschaffende. Das erste Mal ging Christ 1771 nach St. Petersburg und kehrte schon „nach ein paar Jahren“ zurück. Der zweite Aufenthalt in der russischen Hauptstadt fand von 1778 bis 1784 statt und Christ kam „mit viel Ehre“ und wohlhabend nach Augsburg zurück. Es gibt nur eine Zeichnung von ihm in der Eremitage, dem größten Museum in St. Petersburg, und er gilt als Maler der Deckenmalerei des Treppenhauses im Russischen Museum und einige Bilder für den Festsaal im Tsarskoje Selo.
Der Augsburger Stadtpfleger Paul von Stetten (1731-1808) berichtet in seiner “Kunstgewerb- und Handwerkergeschichte der Reichsstadt Augsburg” über die Reise des Malers folgendes:
“Die harten Zeiten, die im Jahre 1770 eingefallen, da alle Künstler müßige Hände hatten, veranlaßten ihn, in der Ferne sein Glück zu suchen. Er reiste daher bis nach Petersburg, wo die Künste geliebt, die Künstler aber nicht zu zahlreich waren, mithin die Kunst wohl belohnet wurde. Es fehlte daselbst ihm nicht an Beyfall und Arbeit: allein Luft, Lebensart stunden ihm weniger an, und bewogen ihn, nach ein paar Jahren zu den Seinen wiederum nach Augsburg zurückzukehren.”
Deckenmalerei von Guglielmi
Im Festsaal sieht man sofort die wunderschöne Deckenmalerei mit der Personifikation Europas im Zentrum.
Der Maler Gregorio Guglielmi (1714-1753) stammte aus Rom und strebte seit 1767 nach Russland, da er sich große Aufträge erhoffte. 1770 lud ihn Katharina II. (1729-1796) nach St. Petersburg ein. Wir wissen, dass Guglielmi nur Skizzen für Deckenmalereien angefertigt hat, eine davon, die für ein Palais in Zarskoje Selo bestimmt war, befindet sich in der Eremitage.

Gregorio Guglielmi, Apotheose Katharina II., 1767, Eremitage, Sankt-Petersburg
Auf dieser Wandskizze stellt Guglielmi Katharina als Friedensstifterin dar, in der Rolle von Athen, der griechischen Göttin der Weisheit, der Strategie und des Kampfes. Unter dem Schutz ihrer göttlichen Patronin fördert Katharina die Künste und den Handel Russlands. Unterhalb von ihr ist Merkur, der Gott des Handels und Reichtums mit dem Kaduceus, seinem Stab, und dem Füllhorn, zu sehen. Zur Kaiserin streben auch die Vertreter*innen der Völker, die damals im Russischen Reich lebten.
Dieses kaiserliche und eigentlich eurozentristische Motiv ist auch auf den Deckenmalereien im Schaezlerpalais und im Treppenhaus zu sehen. Auf letzteren sind sieben Allegorien der Künste unter dem Schutz von Apollo und Merkur abgebildet.
Im Festsaal bildet den Mittelpunkt der Deckenmalerei die Personifikation Europas als Zentrum der Künste und der Zivilisation. Der Handelsgott Merkur, der geflügelte Chronos, eine Allegorie für die Zeit, und Fama, der Ruhm, folgen ihr. Um Europa sind die anderen Kontinente, die damals bekannt waren, nämlich Afrika, Asien und Amerika, als weibliche Figuren versinnbildlicht.
Wahrscheinlich arbeitete der Maler Sophonias de Derichs (1713-1773) an den Supraporten im Festsaal, die Flora und Fauna der vier Kontinente darstellen. De Derichs ist den Besuchern des Schaezlerpalais bereits als Maler der Porträts der Eltern des Bauherren Libert von Liebenhofen bekannt. Grigorio Guglielmi und Sophonias de Derichs gingen wie viele Augsburger Kunstschaffende zu dieser Zeit nach Sankt Petersburg auf der Suche nach dem “besseren Leben”. Wir wissen, dass De Derichs, seine Frau und Guglielmi 1773 aufgrund einer Krankheit binnen weniger Tage starben. Es wurde spekuliert, dass es sich um eine Vergiftung handelte. Der Legende nach hatte die Zarin ihr Porträt, das Guglielmi für sie gemalt hatte, kritisiert.

Gregorio Guglielmi, Deckenmalerei im Festsaal, Schaezlerpalais Augsburg, 1767. Bildrechte: © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Foto: Achim Bunz
Russischsprachige Spuren in Augsburg
- Der Königsplatz – Geschichten aus Bronze, Migration und einem verschwundenen Stadttor
- Der Rathausplatz – Als Moskowiten in Augsburg eintrafen
- Das Schaezlerpalais –Kunst zwischen Augsburg und dem Zarenhof
- Die Stadtmetzg – Wie die Kunst Verbindungen schuf
- Die St. Anna – Augsburgs evangelisches Zentrum und eine Brücke nach Russland
- Das Maximilianmuseum – Augsburger Goldschmiedekunst und ihre Spuren im Russischen Reich
- Die Halle 116 – Ein Ort der Verantwortung und des Erinnerns
Ansprechperson
Maria Issinskaya
Russischsprachige, ukrainische Inhalte
Das Projekt „Meine Stadt – Meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa
