Westfriedhof Eingang. Foto: Alexander Yarmak

Der Westfriedhof

Das Grab des ukrainischen Dichters Juri Klen

Friedhöfe sind stille Zeugen der Stadt- und Migrationsgeschichte. Auf dem Westfriedhof in Augsburg erinnert ein Grab an den ukrainischen Dichter Juri Klen (1891–1947). Sein Name ist das literarische Pseudonym von Oswald Burghardt (Burgardt – so schrieb er selbst seinen Nachnamen). Der bedeutende Dichter wurde am 4. Oktober 1891 im ukrainischen Dorf Serbyniwska in Podolien (heute im Gebiet Winnyzja, Ukraine) in einer deutschen Kaufmannsfamilie geboren. In seiner Familie sprach man Deutsch und Polnisch, seine Gymnasial- und Universitätsausbildung erhielt er auf Russisch, doch sein dichterisches Talent entfaltete sich am stärksten in der ukrainischen Sprache – obwohl er auch auf Deutsch und Russisch schrieb.

Porträt Juri Klen, 1947. Quelle: Wikipedia

Porträt Juri Klen, 1947. Quelle: Wikipedia

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Burghardt aus der Ukraine in den Norden des Russischen Reichs verbannt. Die vier Jahre seiner Verbannung charakterisierte er später mit den Worten: „Vier Jahre der Abgeschnittenheit vom kulturellen Leben“. Im Jahr 1918 kehrte er in seine Heimat Ukraine zurück. Oswald Burghardt tauchte in das lebendige ukrainische Literaturleben ein, das – inspiriert vom Zusammenbruch des Russischen Reiches und der Hoffnung auf die Wiedergeburt des ukrainischen Staates – nach Jahren der Verbote und Unterdrückung eine nie dagewesene Blütezeit erlebte.

Er wurde eingeladen, an einer Berufs- und an einer Mittelschule im Dorf Baryschiwka zu unterrichten, wo er Mykola Serow (1890-1937) kennenlernte – einen brillanten ukrainischen Dichter, Übersetzer und Literaturwissenschaftler. Eine langjährige Freundschaft und gemeinsame Liebe zur Literatur, zur ukrainischen Sprache sowie ähnliche Ansichten über die Poesie verbanden die beiden. Oswald begann zu übersetzen und auf Ukrainisch zu schreiben. So wurde er Juri Klen – ein herausragender ukrainischer Dichter und Intellektueller, einer der bedeutendsten Vertreter der neoklassizistischen Richtung in der ukrainischen Dichtung. 1931 emigrierte er nach Deutschland, lehrte an der Universität Münster und veröffentlichte den Sonettenzyklus „Cortés“ – ein Schlüsselwerk der ukrainischen Dichtung der Zwischenkriegszeit.

1939 wurde Juri Klen als Übersetzer in die Wehrmacht eingezogen. Nachdem er 1942 aus gesundheitlichen Gründen entlassen wurde, arbeitete er an der Ukrainischen Freien Universität in Prag. 1945 wurde die Universität aus Sicherheitsgründen nach München verlegt. Anschließend ging Klen nach Österreich und fand eine Anstellung an der Universität Innsbruck. Trotz materieller Not setzte er seine schöpferische Arbeit fort – er schrieb, übersetzte, redigierte die ukrainische literarische Zeitschrift „Lytawry“ in Salzburg und blieb ein aktiver Teilnehmer des ukrainischen literarischen Lebens im Exil.

Mehrmals reiste Juri Klen nach Augsburg, um an literarischen Veranstaltungen teilzunehmen und seine Werke öffentlich zu präsentieren. Am 25. Oktober 1947 las Juri Klen in der Somme-Kaserne in Augsburg zum letzten Mal öffentlich seine Novelle „Die Abenteuer des Erzengels Raphael“. Schon bei seiner Anreise hatte er sich erkältet, und am nächsten Tag verschlechterte sich sein Zustand so stark, dass er mit der Diagnose Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Leider konnte sein durch die Jahre des Krieges und der Emigration geschwächter Körper die Krankheit nicht mehr überwinden. Am 30. Oktober 1947, im Alter von nur 56 Jahren, starb Juri Klen.

Grabplatte von Juri Klen, 2025. Foto: Alexander Yarmak

Grabplatte von Juri Klen, 2025. Foto: Alexander Yarmak

Der Dichter wurde auf dem Westfriedhof in Augsburg beigesetzt, neben dem Grab von Olha Kossatsch-Krywynjuk (1877-1945), der Schwester einer anderen großen ukrainischen Dichterin Lesja Ukrajinka (1871-1913). Die Gedenkplatte auf seinem Grab wurde vom bekannten ukrainischen Künstler Jakiv Hnizdowskyj (1915-1985) geschaffen, der sich damals ebenfalls in Deutschland im Exil befand. Etwa im Jahr 2018 wurden die ursprünglichen Grabplatten ukrainischer Intellektueller entfernt. Dank des Engagements ukrainischer Aktivist*innen ist heute jedoch eine Replik der Gedenkplatte von Juri Klen an ihrem ursprünglichen Ort wieder zu sehen.

Das Grab von Juri Klen auf dem Westfriedhof erinnert nicht nur an das Schicksal eines bedeutenden ukrainischen Dichters im Exil, sondern auch an die engen kulturellen Verbindungen zwischen Augsburg und der ukrainischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg.

 


Das Projekt „Meine Stadt – meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa

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