Foto Stadtmetzg, Maria Issinskaya

Die Stadtmetzg

Wie die Kunst Verbindungen schuf

Wer heute durch die Straßen der Augsburger Altstadt geht, bemerkt vielleicht das stattliche Renaissance-Gebäude der Stadtmetzg – eine von Elias Holl  (1573-1646) geplante Zunfthalle, die seit 2019 Teil des UNESCO-Welterbes „Wasserwirtschaft in Augsburg“ ist. Ursprünglich diente das Gebäude der  . Im Keller floss frisches Wasser durch die Kanäle, um Fleisch länger haltbar zu machen. Heute ist hier das Sozialamt untergebracht.

Doch ein weniger bekannter Teil der Geschichte spielte sich im Obergeschoss ab – und hat viel mit Kunst, europäischer Migration und internationalen Netzwerken zu tun.

1712 zog in zwei kleine Räume der Stadtmetzg eine neue Institution ein: die städtische Kunstakademie. Zwar soll sie laut dem Geschichtsschreiber Paul von Stetten  (1705-1786) bereits 1710 gegründet worden sein, aber der Lehrbetrieb begann erst am 12. Oktober 1712 – in unmittelbarer Nähe zum Fleischmarkt und unter dem Seziersaal des Collegium Medicum, der Organisation der Augsburger Ärzte der damaligen Zeit . Der Geruch war für die Künstler also durchaus eine Herausforderung.

Ignaz Sebastian Klauber, Retter der Welt, Kupferstich, 1772. © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Grafische Sammlung

Ignaz Sebastian Klauber, Retter der Welt, Kupferstich, 1772. © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Grafische Sammlung

Dennoch wurde die Akademie zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Blütezeit. 1782 entstand ein Ausstellungs- und Veranstaltungssaal, der das kulturelle Leben bereicherte. Auch nach der Auflösung der Akademie durch die bayerische Regierung 1809 wurde das Gebäude weiter als Kunstschule genutzt – bis 1906.

Im 18. Jahrhundert war Augsburg neben London und Paris eines der wichtigsten Zentren für Kupferstich und Buchverlag in Europa. Die Werke Augsburger Kunstschaffende und Verleger prägten den sogenannten „Augsburger Geschmack“ – einen verspielten, detailreichen Stil, der als typisch für das Rokoko galt.

Dabei war die Stadt vernetzt wie kaum eine andere: Künstler aus Augsburg arbeiteten in Frankreich, Russland, der Schweiz – und umgekehrt kamen Impulse aus dem Ausland zurück.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist Ignaz Sebastian Klauber (1753–1817). Er entstammte einer bekannten Augsburger Kupferstecherfamilie, war Mitglied der Augsburger Kunstakademie und wurde in Paris als Akademiemitglied anerkannt. Nach der Französischen Revolution berief ihn 1796 die Russische Akademie der Wissenschaften nach St. Petersburg – als Professor für Kupferstich.

Dort gründete er eine Kupferstecher-Schule, wurde 1805 Konservator des Kupferstichkabinetts der Eremitage und gilt heute als „Vater der russischen Kupferstecherkunst“. Seine Frau erhielt nach seinem Tod eine Beamtenpension des Zarenreichs – ein deutliches Zeichen seiner Bedeutung.

Ein weiteres Beispiel ist Matthias Gottfried Eichler (1748–1821). Der Sohn eines Augsburger Malers fertigte großformatige Ansichten des Winterpalasts in St. Petersburg und arbeitete in der Schweiz an den sogenannten „Russischen Prospekten “, den Kupferstichen, die Aussichten der russischen Städte mit der Beschreibung präsentierten. Seine Werke finden sich heute in der Grafischen Sammlung Augsburg.

Die Geschichte der Stadtmetzg ist mehr als ein Kapitel der Handwerksgeschichte. Sie ist ein Ort der Kunst – und ein Ort der kulturellen Verbindungen über Grenzen hinweg. Sie erzählt von Augsburger Künstlern, die in ganz Europa wirkten, von Stilprägungen, internationalen Akademien und Netzwerken, die schon lange vor dem modernen Begriff der „Migration“ künstlerischen Austausch lebten.  Oder anders gesagt: Die Stadtmetzg steht nicht nur für Wasser und Fleisch – sondern auch für Farbe, Feder und Weltoffenheit.

Matthias Gottfried Eichler: Blick auf Winterpalast, Kupferstich, ca. 1799. © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Grafische Sammlung

Matthias Gottfried Eichler: Blick auf Winterpalast, Kupferstich, ca. 1799. © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Grafische Sammlung


Das Projekt „Meine Stadt – Meine Geschichte“ beschäftigt sich mit der Ausarbeitung und Digitalisierung der migrantisch geprägten Stadtführungen und ist Teil von DIWA 4.0. Das EU-geförderte Projekt DIWA 4.0 unter der Leitung des Büros für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg setzt sich aktiv für die gleichberechtigte Teilhabe Neuzugewanderter und ein respektvolles Miteinander ein. Mehr Informationen: augsburg.de/diwa

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