Augsburger Allgemeine Zeitung verleiht Silberdistel an Tür an Tür

Die Augsburger Allgemeine Zeitung hat Tür an Tür die Silberdistel verliehen. Die Verleihung fand am Dienstag im Café Tür an Tür statt und ehrt das Engagement, das Tür an Tür seit über 26 Jahren in Augsburg einbringt.

Die Augsburger Allgemeine berichtet darüber in ihrer Printausgabe vom 18.05.2018 und vor gut 2 Wochen bereits online: https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Ein-Verein-der-Menschen-Tueren-oeffnet

Die ganze Entstehungsgeschichte hinter Tür an Tür hat Thomas Körner-Wilsdorf, Gründungsmitglied und Vorstand des Vereins anlässlich des 25-jährigen Jubiläums zusammengefasst:

Nach einem ziemlich spektakulären Kirchenasyl mit sieben Geflüchteten aus Bangladesh in Gögginger „Kuratie St. Johannes Baptist“, brütete eine Gruppe engagierter Bürger die Idee aus, die Wiese neben der Kirche zu bebauen. Die Planung zielte auf eine Modellwohnanlage für Studierende und Geflüchtete in Augsburg. Beide Gruppen haben viel gemeinsam: das Alter, hohe Fremdsprachenkenntnisse und einen ähnlichen Tagesablauf: Spät ins Bett und spät wieder aufstehen. Bauherr sollte ein Verein sein und deshalb wurde 1992 „Tür an Tür – miteinander wohnen und leben e.V.“ gegründet. Die Wohnanlage konnte nicht realisiert werden, weil die Zahl der Flüchtlinge nach dem „Asylkompromiss“ stark zurückging und keine neuen Unterkünfte mehr staatlich mitfinanziert wurden. Bei der damaligen Unterbringungspolitik waren Qualität und Sozialverträglichkeit von Flüchtlingsunterkünften nicht wichtig. Groß und billig war damals die staatliche Devise.

Im Augsburger Fabrikschloss entstand so eine Riesenunterkunft, die großen Stress für alle mit sich brachte. Sperrholzwände zerteilten die alten Fabrikhallen in einzelne Kabinen für Hunderte Menschen. Flüchtlinge wurden in Stockbetten vierfach bis unter die Decke gestapelt. Soziale Betreuung gab es zunächst nicht vor Ort. Ein Kreis von dort engagierten Ehrenamtlichen motivierte Tür an Tür dazu, zwei Sozialberater für das Fabrikschloss anzustellen um die Geflüchtete vor Ort zu beraten. Die Arbeit von Sylvia Pöttinger und Thomas „Willi“ Wilhelm konnte über Jahre mit Spenden von Kirchengemeinden und Privatpersonen finanziert werden. Mit dem Diskussionspapier „Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen“ und mit „Asylpolitischen Busfahrten“ warben wir für kleine, betreute und eine menschenfreundlichere Flüchtlingsunterkünfte.

Mit unserem „Wohnbüro“ unterstützten wir ab 1996 für einige Jahre finanziell Schlechtergestellte, Studierende und Migranten bei der schwierigen Suche nach günstigem Wohnraum in Augsburg. Seit 1997 ist Tür an Tür auch Herausgeber der Straßenzeitung „Riss – Augsburgs Zeitung für soziale Themen“. Mit dem Verkauf der ehrenamtlich erstellten Zeitschrift haben ärmere Bürger eine menschenwürdigere Alternative zum Betteln auf der Straße. Deren Lebenssituation ist in Teilen sehr schwierig, denn Augsburg ist keine „reiche“ Stadt. Mit den „Augsburger Armutsberichten“ werben wir für eine engagierte Sozialpolitik, die Lebenschancen fairer verteilt.

1999 ereignete sich ein kleines Wunder. Ein Verein, der kurz vor der Auflösung stand, verkaufte das „Europadorf“ an Tür an Tür. Dort wohnten in Augsburg/Hochzoll nach dem zweiten Weltkrieg, Dispaced Persons. Das waren von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter, die nicht in die Sowjetunion zurück konnten. Die Emigration in die USA und Kanada war jüngeren und gut ausgebildeten Menschen vorbehalten. Später zogen dort Flüchtlinge aus dem „Ostblock“ ein und vietnamesischen Boatpeople. Tür an Tür sanierte die alten Reihenhäuschen mit Spenden und Krediten von Privatpersonen und erweiterte das Europadorfs mit zwei Neubauten. Christine Kamm managt als ehrenamtliche Geschäftsführerin das Europadorf. Heute leben Familien in den 36 Wohnungen des öko-sozialen Modellprojekts.

Nachdem Finanzmittel für Flüchtlingsarbeit in Bayern und im Bund für Tür an Tür kaum erreichbar waren, wagten wir 1997 den ersten „EU-Antrag“. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission eröffneten wir die „Beratungsstelle für die Integration ausländischer Flüchtlinge“. Nach und nach wuchs dieser Bereich um die Projekte zur „Freiwilligenarbeit“ und „Bildung und Arbeit“. In Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk Augsburg entstand dann 2002 das Augsburger „Beratungs- und Integrationszentrum für Flüchtlinge“. Seit 2008 wird es als Zentrum für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund Träger übergreifend geführt. Im Januar 2005 wurde die gemeinnützige „Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH“ gegründet, die inzwischen zahlreiche Projekte u.a. zur beruflichen Qualifizierung von Geflüchteten und zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in Deutschland angestoßen hat. Tülay Ates-Brunner und Stephan Schiele engagieren sich hier ehrenamtlich als Geschäftsführung.

Tür an Tür zog 2012 in das ehemalige Straßenbahndepot in der Wertachstraße, wo mit Partnern das „Zentrum für interkulturelle Beratung“, kurz „zib.“, aufgebaut wurde. Dort werden Geflüchtete, Immigranten, Behörden, Unternehmen und Kommunen professionell beraten. Sprachkurse und die Begleitung bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche ergänzen das Angebot für Geflüchtete. Zuletzt errichteten dort Nachbarn, Geflüchtete und Schüler des Holbein-Gymnasiums gemeinsam das „Café Tür an Tür“ in einer alten Busgarage. Der offene Treffpunkt wird seit 2015 vorwiegend ehrenamtlich betrieben und bietet täglich ein buntes und vielkulturelles Angebot für neue und alteingesessene Augsburger.

Seit letztem Jahr arbeitet die „Tür an Tür – Digital Factory gGmbH“. Das gemeinnützige Start-Up-Unternehmen bietet Beratung und Hilfe für digitale Lösungen im sozialen Bereich an. Entstanden ist dieser Arbeitsbereich bei Tür an Tür nach dem Start der App „Integreat“, einem digitalen Alltagsguide, mit der deutsche Kommunen Geflüchtete und Freiwillige mehrsprachig mit lokalen Informationen versorgen können. Hier arbeiten die ehrenamtlichen Geschäftsführer Daniel Kehne und Fritjof Knier mit Studierenden und Lehrenden mehrerer Universitäten zusammen.

Der Verein ist inzwischen relativ „erwachsen“ geworden und sein ehrenamtlicher Vorstand hat gut zu tun. Wöchentlich treffen sich deshalb Christine von Gropper, Thomas Körner-Wilsdorf, Helmut Schwering, Matthias Schopf-Emrich und Stefan Wagner. Aktuell engagieren sich etwa 65 hauptamtlich und 150 ehrenamtlich bei Tür an Tür. Wir arbeiten gemeinsam an neuen originellen, sozialen, demokratischen und interkulturellen Projekten. Unterstützen Sie uns! Machen Sie mit! Es ist gerade heute dringend notwendig und es lohnt sich für alle!

Foto: Silvio Wyszengrad / Augsburger Allgemeine Zeitung