Nur die Hälfte verstehen reicht nicht

Augsburg, 27.11.2012

Von Joshena Dießenbacher

Das Projekt „SprInt Augsburg“ will Sprach-und Integrationsmittler/-innen qualifizieren und einsetzen, um Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen – und auch Behörden und Ärzte zu entlasten. Bei einer Informationsveranstaltung von Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH kamen lokalen Akteure zusammen.

Ein Kleinkind hat akute Neurodermitis, ihm muss dringend geholfen werden. Die Ärztin weiß, was zu tun ist und will es den Eltern erklären. Die aber verstehen nicht; ihre Sprache ist somalisch. Die Augsburger Kinderärztin Dr. Monika Kaiser kann von vielen solchen Situationen erzählen, denn in ihre Praxis kommen Kinder aus mindestens 40 Nationen, darunter viele Flüchtlinge. Die Ärztin will helfen – die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede machen es ihr aber nicht leicht. Deshalb ist sie zur Informationsveranstaltung des Projekts „SprInt Augsburg“ ins Zeughaus gekommen – zusammen mit rund 70 anderen geladenen Gästen aus Behörden und Einrichtungen, die täglich mit fremdsprachigen Menschen in Kontakt sind. Unter den Podiumsrednern ist Martin Neumeyer, der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Moderator ist Matthias Garte, Koordinator in der „Fachstelle Integration und Interkulturelle Arbeit“ der Stadt Augsburg.

„Die Hälfte verstehen ist nicht genug“. So lautet das Motto der Veranstaltung, die am Beispiel des Gesundheitswesens zeigen will, warum es „SprInt Augsburg“ braucht. „SprInt“ steht für den Einsatz von Sprach- und Integrationsmittler/-innen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Denn im Alltag von Behörden, Schulen, sozialen Diensten und medizinischen Einrichtungen kann es zwischen Fachpersonal und Migranten zu sprachlich und kulturell bedingten Verständigungsproblemen. Ein SprInt ist jemand, der vermittelt, wenn ein fremdsprachiger Bürger oder auch ein Asylbewerber zum Beispiel zum Arzt oder Jugendamt geht. SprInt dolmetschen nicht nur, sondern wissen auch um die kulturellen Unterschiede und Besonderheiten. Und sie sind absolut vertrauenswürdig, weil die Schweigepflicht eine zentrale Rolle in ihrer Tätigkeit einnimmt. SprInt auszubilden und einzuführen ist ein Ziel des bundesweiten Projekts „SprIntpool Transfer“, das vom Europäischen Integrationsfonds der Europäischen Union und vom Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge unterstützt wird – und schon in mehreren deutschen Städten angelaufen ist.

Bald soll es auch in Augsburg SprInt geben. Dafür haben sich in der Fuggerstadt das Diakonische Werk Augsburg, die Volkshochschule und die „Fachstelle für Integration und Interkulturelle Arbeit“ der Stadt Augsburg unter der Koordination von Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH zusammengeschlossen. Der Bedarf an SprInt ist da: In Augsburg leben derzeit rund 800 Asylsuchende und sehr viele fremdsprachige Bürgerinnen und Bürger. Ihnen soll SprInt helfen, sich in ihrer neuen Lebenswelt zu orientieren und zu verständigen.

Podium

Eine, die dieses Projekt sehr befürwortet, ist Fatma Tuncer. Sie ist über das Projekt „Kuntermund“ des Diakonischen Werks Augsburg regelmäßig ehrenamtlich als Sprach- und Kulturmittlerin im Einsatz. Aus ihrer Erfahrung heraus ist das jedoch zu wenig und deckt nicht den tatsächlichen Bedarf; auch sollte nicht mangels professioneller Angebote auf Familienangehörige zurückgegriffen werden müssen. So berichtet sie von einem 15-jährigen Türken, der seine Mutter zum Frauenarzt begleiten musste. „Das ist nicht zumutbar, gerade Kinder sind nicht reif für diese Verantwortung“, sagt sie. Ihre „Kuntermund“-Erfahrungen kann Tuncer jetzt im Projekt SprInt einbringen, in dem der Koordinator von „Kuntermund“, das Diakonische Werk, Partner ist.

Ob bei türkischstämmigen Mitbürgern oder Asylbewerbern, ob beim Arbeitsamt oder Psychotherapeuten: Sprach- und Integrationsmittler/-innen könnten vieles vereinfachen, dessen ist sich Anne Güller-Frey von Tür an Türsicher. „Bei Erziehungsfragen, medizinischer Behandlung, seelischen Problemen oder der Bewältigung von Gewalterfahrungen darf der interkulturelle Dialog nicht an mangelnder Sprachkompetenz scheitern“, sagt sie im Zeughaus.

Der Bayerische Integrationsbeauftragte und Landtagsabgeordnete der CSU, Martin Neumeyer, sieht das ebenso – und nutzt seinen Besuch in Augsburg, um Anne Güller-Frey für ihr Engagement im Bayerischen Integrationsrat zu danken und die Arbeit von Tür an Tür zu würdigen. Der Bayerische Integrationsrat in München habe eine „Handlungsempfehlung zur Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund“ ausgearbeitet und, so Neumeyer anerkennend: „Sie machen bereits, was der Integrationsrat fordert. Insofern sind Sie Beispiel und Vorbild“. Neumeyer ist von dem „SprInt“-Konzept überzeugt und sieht die klaren Vorteile – und die Entlastung auf beiden Seiten. „Wir sparen Zeit, weil es den Ärzten viel schneller gelingt, die richtige Diagnose zu stellen, wir sparen Geld, weil keine Folgekosten durch falsche oder zu späte Behandlung anfallen. Und wir schonen die Nerven aller Beteiligten, weil so von vornherein Konflikte vermieden und Missverständnisse ausgeräumt werden“, resümiert Neumeyer im Hinblick auf das Gesundheitssystem.

Martin-Neumeyer

Wie aber wird man Sprach- und Integrationsmittler/-in? Anne Pawletta, SprIntpool-Beraterin von Tür an Tür, informiert im Zeughaus über die geplante Ausbildung. So sieht das Projekt eine 12-monatige, ganztägige Qualifizierung vor, die sowohl praxisnahe als auch theoretische Inhalte vermittelt. Der Unterrichtskanon umfasst die Bereiche Sozial- und Gesundheitswesen, Bildung, Migrationssoziologie, Interkulturelle Kommunikation und Kulturgeschichte sowie ein abgestimmtes fachspezifisches Dolmetscher-Training. Die abgeschlossene Qualifizierung wird mit einem bundeseinheitlichen Zertifikat ausgewiesen; deren Anerkennung als eigenständiges Berufsbild wird angestrebt. Vorbilder für die SprInt-Qualifizierung gibt es bereits in einigen Städten Deutschlands, zum Beispiel in Aachen oder Wuppertal. Deshalb arbeiten die Projektpartner in Augsburg mit Hochdruck an der Umsetzung des Konzepts. Bereits im Herbst 2013 soll die Qualifizierung starten.

Die Zuhörer im Publikum bekunden großes Interesse an SprInt. Viele bestätigen, dass SprInt in ihrem jeweiligen Bereich die Arbeit wesentlich erleichtern und verbessern würde. Eine Frau aus der Schwangerschaftsberatung „Donum Vitae“ sagt: „Wir brauchen eine Kulturvermittlung“. Ein Kaiserschnitt, erläutert sie, sei beispielsweise ein schwieriges und vermittlungsbedürftiges Thema, gerade für Menschen aus anderen Kulturkreisen.

Nur, wie finanziert man SprInt? „Die Fallspauschale pro Patient im Krankenhaus wird ja deshalb nicht erhöht“, gibt eine Mitarbeiterin des Augsburger Klinikums zu bedenken. Anne Pawletta ist mit dieser Fragestellung vertraut und zeigt mögliche Optionen auf: Die Praxis in anderen Städten zeige, dass eine Finanzierung von SprInt-Einsätzen möglich sei. Meist stünde die Finanzierung auf mehreren Säulen: „An einigen Standorten werden kommunale Mittel bereit gestellt, an anderen Orten mobilisieren Auftraggeber eigene Ressourcen“, erklärt Pawletta und betont: „Die beste und praktikabelste Lösung für Augsburg zu finden, das ist Teil meiner Arbeit und da bin ich froh, dass die Stadt Augsburg Projektpartner ist.“ Zudem sei das SprInt-Projekt in Augsburg gerade erst in den Startlöchern und laufe bis 2015.

Dass Sprach- und Integrationsmittler in Augsburg gebraucht werden, davon ist nicht zuletzt auch Matthias Garte von der städtischen Fachstelle für Integration überzeugt. Er verweist auf das erfolgreiche städtische Projekt der „Stadtteilmütter“. Im Fall Sprach- und Integrationsmittlung müsse man sich für das Projekt SprInt entscheiden und es auch durchziehen – damit es ein Erfolg werden kann.

Programm zur Veranstaltung